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II. Veranstaltungsformate 21. Wie lassen sich praktische und experimentelle Anteile oder manuelle Fertigkeiten in der virtuellen Lehre abbilden?

Bei allen positiven Effekten und neuen Lernräumen, die virtuelles Lehren und Lernen ermöglicht, muss festgehalten werden, dass es in vielen Disziplinen praktische Anteile des Studiums gibt, die sich kaum oder gar nicht virtuell abbilden oder übersetzen lassen. Gerade bestimmte prozedurale Kompetenzen, die starke physische Komponenten haben oder eine spezielle Infrastruktur benötigen, sind bisher nur schwerlich virtuell zu fördern oder zu überprüfen (z. B. das Halten einer Pipette, das Restaurieren einer antiken Vase, das händische Anfertigen einer Prothese, das Nähen einer Wunde). Allerdings macht auch hier die Technik, gerade mit Hinblick auf die Potenziale von VR, immer weitere Fortschritte für die digitale Umsetzung solcher Tätigkeiten (vgl. u. a. Waldecker et al. 2021). Trotz der Hürde beim Erlernen dieser manuellen Fertigkeiten lässt sich aber fragen, welche angrenzenden Kompetenzen dennoch zu entwickeln sind, beispielsweise bei Laborarbeiten. Zwar mag das Pipettieren am heimischen Schreibtisch nicht adäquat einzuüben sein, aber mit der Laborarbeit verknüpfte Kompetenzen können durchaus auch in der Fernlehre erworben werden. In diesem Beispiel könnten diese sich etwa auf folgende Aspekte beziehen: Studierende sind in der Lage, …

  • … eine Fragestellung zu formulieren;
  • … einen Versuchsaufbau zu planen;
  • … eine Projektplanung durchzuführen;
  • … eine Risikobewertung der eigenen Projektplanung vorzunehmen;
  • … wissenschaftliche Ergebnisse darzustellen und zu präsentieren, kritisch in den Forschungsstand einzuordnen etc.

In Disziplinen mit starken praktischen oder experimentellen Anteilen in Bezug auf manuelle Fertigkeiten kommen manchmal gerade diese Bereiche der wissenschaftlichen Ausbildung zu kurz. Im Labor- oder Klinikalltag etwa sind die eigenständige Formulierung von Fragestellungen und die Planung eines Versuchsaufbaus gegebenenfalls weniger priorisiert und der Fokus verschiebt sich zugunsten der tatsächlichen (praktischen oder experimentellen) Arbeit an technischen Geräten oder etwa mit Patient*innen. Die digitale Transformation vieler Arbeitsfelder öffnet aber auch den Raum für neue Lernmöglichkeiten, die an die veränderte Arbeitswelt angepasst werden können. Angehende Ärzt*innen sollten einüben, virtuelle Patient*innengespräche zu führen und zukünftige Lehrkräfte sollten auf die Planung und Durchführung virtuellen Unterrichts vorbereitet werden. Hierbei stellt die virtuelle Lehre kein Hindernis, sondern ein praktisches Experimentierfeld dar.

In der Situation der rein virtuellen Lehre muss nichtsdestotrotz weiterhin überlegt werden, wie der Nachweis und das Verständnis des wissenschaftlichen Arbeitens auch theoretisch und schriftlich erfolgen kann (siehe auch „Forschendes Lernen“, →Frage 19). Genau diesen relevanten (Forschungs-)Kompetenzen wird damit explizit ein größerer Raum eingeräumt: Man gibt ein Thema vor, die Studierenden arbeiten sich in die Literatur ein, extrahieren aus dem aktuellen Forschungsstand eine Fragestellung, erstellen eine theoretische Planung des Vorgehens, nehmen eine kritische Bewertung und Analyse von möglichen Schwachstellen im Untersuchungsdesign vor etc. Auf diese Weise können entscheidende fachspezifische Kompetenzen eingeübt werden, wenngleich dadurch die praktischen und experimentellen Anteile oder manuellen Fertigkeiten natürlich nicht ersetzt werden können.

Eggensperger, P., Kleiber, I., Klöber, R., Lorenz, S.M. & Schindel, A. (2023) Virtuelle Hochschullehre. Ein Handbuch in 50 Fragen und Antworten, Heidelberg: heiBOOKS, S. 67-68