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II. Veranstaltungsformate 14. Wie können digitale Selbstlern- bzw. Verarbeitungsphasen im Kontext von Lehrveranstaltungen gestaltet werden?

Lernen ist die Verknüpfung von Informationsbestandteilen zu einem sinnhaften Netzwerk. Dieses Netzwerk (als eine Art kognitive Landkarte) ist subjektiv durch die Vorerfahrungen des Lernenden, das Interesse am Thema und andere Parameter bestimmt. Lernen ist also ein Prozess der subjektiven Bedeutungserzeugung (→Didaktische Grundüberzeugungen). Auf Seiten der Lernenden braucht diese Bedeutungserzeugung Zeit und Anregung zur individuellen Verarbeitung von Informationen innerhalb wie auch außerhalb der Lehrveranstaltung. Leitfragen für virtuelle Selbstlernphasen sollten (a) im Vorfeld einer Selbstlerneinheit das Anknüpfen an das Vorwissen, individuelle Erfahrungen, subjektives Interesse oder Relevanz des Themas des Lernenden aktivieren. Nach einer selbstgesteuerten Themeneinheit oder Veranstaltung sollten (b) die Leitfragen die Lernenden unterstützen, um neue Informationen in den subjektiven Erfahrungshintergrund integrieren zu können, zu bewerten und Verknüpfungen zu anderen Informationen herzustellen. Phasen der individuellen Informationsverarbeitung rahmen den Input entweder innerhalb einer Lehrveranstaltung oder außerhalb. Mögliche Fragen sind:

  1. Was wissen Sie schon über Theorie XY? Wie verhält sich das Thema zu dem, was wir letzte Woche besprochen haben? Was interessiert Sie besonders? Woher kennen Sie das Konzept Z? Nennen Sie drei mögliche Einsatzmöglichkeiten von…
  2. Was war daran besonders interessant für Sie? Was sind die drei wesentlichen Merkmale? Was hat A mit B zu tun?…

So bieten Selbstlernphasen den Lernenden die Möglichkeit, sich den eigenen Lernprozess bewusst zu machen und zu bewerten. Dies fördert die Übernahme von Verantwortung für den Lernerfolg und dadurch für das Erreichen der Lernziele.

Besonders lernförderlich sind so gestaltete Selbstlernphasen, wenn Studierende sich in Gruppen über ihre Ergebnisse und Erfahrungen mit der Selbstlerneinheit austauschen können. So entsteht Vergleichbarkeit für die Studierenden über ihren Lernstand. Dieser Vergleich kann die ganze Gruppe einer Veranstaltung betreffen oder kleinere Arbeitsgruppen. Durch Formen der Kooperation, die auf (angeleitetem) Peer-Feedback beruhen, erfahren die Studierenden nicht nur etwas über die Lernprozesse ihrer Kommiliton*innen, sondern lernen auch, mit Qualitätsstandards und konstruktiver Kritik umzugehen.

Sollen digitale Verarbeitungsphasen in den Ablauf einer synchronen Lehrveranstaltung integriert werden, können sie vor und nach der Informationsvermittlung (durch Lehrende oder Studierende, etwa in Referaten) ermöglicht werden. Dabei bieten sich besonders kleinere Schreibaufgaben oder Feedback- runden an, die sich problemlos über die Chatfunktion, kollaborative Schreibtools oder digitale Pinnwände abbilden lassen.

Während studentische Lerngruppen außerhalb der Lehrveranstaltung nicht erzwungen werden können, bietet es sich dennoch an, Strukturen zu schaffen, die neben aufwändigen Selbstlernphasen zudem das soziale Miteinander fördern können. Das bedeutet beispielsweise, dass virtuelle Räume und Kommunikationswege bereitgestellt werden müssen, die den Lernenden dauerhaft zur Verfügung stehen. Hierzu sind vor allem feste Gruppen äußerst hilfreich, da sie – gerade im digitalen Raum – eine vertrauliche und stabile Zusammenarbeit begünstigen. Strukturen von Peer-Feedback sind in diesem Zusammenhang ebenfalls sinnvoll. Selbstlernphasen außerhalb der Lehrveranstaltung können aber auch komplett individuell angelegt sein. Alle Arten von Schreibaufgaben, von der Thesenformulierung bis hin zum elaborierten Portfolio (→Frage 25), können hierbei die aktive Auseinandersetzung der Lernenden mit neuen Informationen fördern.

Jenseits fachlicher Qualifikationsziele können Selbstlernphasen auch gut für den Aufbau überfachlicher Kompetenzen wie Zeit- und Lernmanagement genutzt werden, zum Beispiel, wenn in einem Studiengang keine spezifischen Einführungskurse oder Tutorien zu Lern- und Organisationskompetenzen an- geboten werden oder wenn in einem Kurs bestimmte Kompetenzen vorausgesetzt werden, die (noch) nicht alle Studierenden besitzen. Gerade in Einführungsveranstaltungen, in denen aufgrund der Stoffmenge häufig wenig Zeit für die Förderung anderer Kompetenzen bleibt, lässt es sich daher gut mit Selbst- lern-Einheiten zu spezifischen Themen wie Prokrastination arbeiten, die das Lernen von Studierenden typischerweise stören. Solche Kurse oder Lerneinheiten können zur freiwilligen Bearbeitung bereitgestellt werden oder als offizieller Teil des Kurses in die Benotung miteinfließen. Hier ist es möglich, dadurch Flexibilität zu schaffen und der Heterogenität der Studierenden Rechnung zu tragen, indem eine größere Zahl von Study Skills-Einheiten (3) bereitgestellt werden, aus welchen die Studierenden je nach ihren eigenen Bedarfen eine bestimmte Zahl auswählen und absolvieren.

Digitale, in Lehrveranstaltungen eingebettete Selbstlernkurse schaffen somit immer auch einen Rahmen, innerhalb dessen die Lernenden „gezwungen“ sind, sich und ihre Arbeitsweise zu strukturieren – idealerweise sogar in Kollaboration mit anderen Lernenden –, und fördern somit automatisch Kompetenzen wie Zeitmanagement, Selbstorganisation und eigenverantwortliches Arbeiten. Um dieses Potenzial für den überfachlichen Kompetenzaufbau explizit zu nutzen, benötigt es aber immer auch die Möglichkeit zur systematischen Reflexion über den eigenen Lernprozess. Studierende können hierzu angeleitet werden durch Leitfragen wie: Was habe ich durch die Einheit XY über meine Arbeits- weise gelernt? Was hat hier gut funktioniert, und was stellt mich weiter vor Herausforderungen?

Eggensperger, P., Kleiber, I., Klöber, R., Lorenz, S.M. & Schindel, A. (2023) Virtuelle Hochschullehre. Ein Handbuch in 50 Fragen und Antworten, Heidelberg: heiBOOKS, S. 54-56