II. Veranstaltungsformate 13. Wie können digitale Selbstlernkurse und -einheiten gestaltet werden?

Digitale Selbstlernkurse und -einheiten sind in sich geschlossene Lerngelegenheiten, die Lernende üblicherweise alleine und zu einem selbstgewählten Zeit- punkt im eigenen Tempo absolvieren können. Ganz basal könnte eine solche Einheit zum Beispiel aus einer Reihe von Texten oder kurzen Lernvideos sowie einer einfachen Form des Assessments, zum Beispiel einem Multiple Choice- Test, bestehen.

Bei der Konzeption von Selbstlernkursen und -einheiten stellen sich zu- nächst Fragen nach den Funktionen und Zielen: Wer ist die Zielgruppe? Ist das Selbstlernen als eine Vorbereitung, Ergänzung oder Vertiefung anderer Lehre gedacht oder stellt es ein komplett eigenständiges Lehr-Lernsetting dar (z. B. im Bereich von Schlüsselkompetenzen für das Studium bzw. „Study Skills“ (2))? Welche Lernziele sollen die Teilnehmenden wie erreichen? Soll dieser Kompetenzerwerb überprüft werden, und wenn ja, sollen hierfür Bescheinigungen, zum Beispiel (kreditierte) Micro-Credentials (z. B. Open Badges), ausgestellt werden?

Im Kontext einer Lehrveranstaltung mit der Zielgruppe der eigenen Studierenden könnten Selbstlerneinheiten zum Beispiel genutzt werden, um Grundlagen auf- und auszubauen oder um zusätzliche Angebote für besonders motivierte Studierende bereitzustellen (→Frage 14). Es bietet sich an, die Einheit so zu gestalten, dass diese längerfristig als ‚Konserve‘ und ohne Zutun der Lehrenden funktioniert (→Frage 8).

Bei der Planung von Selbstlerneinheiten sind insbesondere die folgenden zwei Punkte zu beachten: Erstens ist zu bedenken, welche Themen sich für ein Selbstlernen eignen. Grundsätzlich lässt sich natürlich fast jeder Inhalt in das Format von Selbstlerneinheiten überführen. Besonders geeignet sind aber In- halte, die mittel- und langfristig stabil bleiben (z. B. überfachliche Kompetenzen, Einführungen in das wissenschaftliche Arbeiten, Disziplingeschichte, grundlegende Theorien und Methoden). In Forschungsfeldern, die sich dynamisch wandeln, lohnt der Aufwand der Gestaltung einer Lerneinheit gegebenenfalls nicht.

Zweitens ist es gerade bei Selbstlerneinheiten, die häufig ohne soziale Einbindung funktionieren müssen, wichtig, dass die Einheit so kurz wie möglich und sehr zielgerichtet gestaltet ist. Je griffiger und klarer die Einheit ist, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass Lernende diese wirklich alleine bewältigen und die gewünschten Kompetenzen aufbauen können. Bei aller Autonomie des Lernens in solchen Formaten ist es aber auch hier essenziell, die Möglichkeit für Feedback und Evaluation durch die Teilnehmenden zu bieten – zum einen, um überprüfen zu können, ob der Kurs beziehungsweise die Einheit ihre intendierte Funktion erfüllt; zum anderen aber auch, um den Lernenden die Möglichkeit zu geben, ihren eigenen Lernprozess zu reflektieren. Dies könnte zum Beispiel über individuelle Rückmeldungen, Foren oder standardisierte Evaluationen geschehen. Auch Selbstlerneinheiten erfordern also ein Mindestmaß an Betreuung beziehungsweise eine Begleitung durch Lehrende oder Tutor*innen. Idealerweise sollten Selbstlernkurse Studierenden einen Betreuungsrahmen anbieten, in welchem Lehrende vor Beginn der Selbstlernphase in den Kurs

oder die Einheit einführen, um die Inhalte der Selbstlernphase zu kontextualisieren, Orientierung zu schaffen und gegebenenfalls Rückfragen zu ermöglichen, und am Ende der Selbstlernphase die Möglichkeit zur Evaluation bereit- stellen (mit oder ohne direkten Kontakt zu den Lehrenden). Auch während der Selbstlernphase kann ein solcher Kurs, zum Beispiel durch die Bereitstellung von Foren, Chats und anderen Austauschmöglichkeiten, den Kontakt zu anderen Kursteilnehmer*innen beziehungsweise auch zu den Lehrenden ermöglichen, um Studierende in ihrem selbstgesteuerten Lernen zu unterstützen.

Letztendlich sollte auch eine Selbstlerneinheit dem Prinzip des Constructive Alignment folgen (→Didaktische Grundüberzeugungen), also der kohärenten Abstimmung von Lernzielen, klar instruierten Lehr-Lernaktivitäten (→Frage 32) und Assessment (→III. Assessment). Grundsätzlich bewegt man sich hier auf einem Spektrum zwischen Selbst-Assessment, zum Beispiel durch reine Reflexionsfragen, und traditionellen Prüfungsformen, zum Beispiel durch von Lehren- den bewertete Aufgaben. In der Mitte dieses Kontinuums befinden sich automatisch auswertbare Übungs- und Assessmentaufgaben, die keine Arbeit seitens der Lehrenden verlangen, zum Beispiel in Form von Multiple Choice-Tests oder H5P-Aufgaben (→Frage 37). Spätestens in diesem Zusammenhang muss die Frage der Kreditierung beantwortet werden, das heißt wie die erfolgreiche Absolvierung eines Selbstlernkurses oder einer Selbstlerneinheit, abgesehen von einem erfolgreichem Lernprozess, für die Teilnehmenden dargestellt werden kann (z. B. per badge oder Zertifikat).

Die praktische Umsetzung einer Selbstlerneinheit erfolgt am einfachsten mithilfe eines LMS (→Frage 1). Nahezu jedes LMS besitzt einen Inhaltstyp, welcher sich für Selbstlerneinheiten eignet (z. B. die Funktion „Lerneinheit“ in ILIAS, die „Lektion“ in Moodle oder das „Branching Scenario“ in H5P). Gemein haben diese Inhaltstypen, dass sich Lernpfade gestalten lassen, welche aus Inhalten und Übungs- sowie Assessmentaktivitäten bestehen.  Für einfache, aber effektive Selbstlerneinheiten bietet sich ein recht klassischer Aufbau an: Nach einer kurzen Einführung ins Thema, zum Beispiel anhand eines Beispiels, wechseln sich Inhalts- und Übungsphasen ab. Eine gut umsetzbare, aber sehr effektive Strategie ist es, durch Abzweigungen mehrere Lernpfade zu generieren und so ein flexibleres und differenziertes Angebot zu schaffen. Zum Beispiel wäre es denkbar, den Lernenden die Option zu geben, in einer Inhaltsphase entweder einen Text zu bearbeiten oder eine Podcast-Episode zum Thema zu hören. Dies ist auch im Sinne von Accessibility (→IV. Classroom Management, Lernmaterialien und Accessibility) sinnvoll. Das Assessment kann dann entweder abschließend (summativ) oder kontinuierlich (formativ; →III. Assessment), das heißt bereits während der Bearbeitungsphase, erfolgen.

Eggensperger, P., Kleiber, I., Klöber, R., Lorenz, S.M. & Schindel, A. (2023) Virtuelle Hochschullehre. Ein Handbuch in 50 Fragen und Antworten, Heidelberg: heiBOOKS, S. 51-53