8. Sollten Lehrveranstaltungen aufgezeichnet werden und was ist bei der Aufnahme zu bedenken?
Durch die Aufzeichnung von Lehrveranstaltungen haben Lernende die Möglichkeit, eine Lehrveranstaltung beziehungsweise vor allem deren Informationsvermittlung im eigenen Tempo und zu einem flexiblen Zeitpunkt anzusehen und Inhalte nach Bedarf zu wiederholen. Aufzeichnungen können insbesondere für Lernende mit Beeinträchtigungen von großem Nutzen sein, da diese zum Beispiel (automatisch) untertitelt oder langsamer abgespielt werden können. Natürlich können aber auch Lehrende von den eigenen Aufzeichnungen profitieren, beispielsweise als nachhaltige Materialsammlung, als zukünftige OERs oder aber zur Reflexion der eigenen Lehrpraxis.
Obwohl die Aufzeichnung und asynchrone Bereitstellung von Lehrveranstaltungen viele Vorteile bietet und der Aufwand der Aufzeichnung, insbesondere bei vollständig virtuellen Formaten, gering ist, stellen sich immer zwei Fragen:
- Eignet sich die spezifische Lehrveranstaltung zur Aufnahme?
- Welchen Zweck soll die Aufnahme schlussendlich erfüllen?
Insbesondere die zweite Frage kann einen Einfluss darauf haben, was, wann und wie aufgezeichnet wird.
Während Formate mit hohem Inputanteil von Lehrenden, zum Beispiel klassische Vorlesungen, relativ unproblematisch aufzunehmen sind, steigt der didaktische, juristische und technische Komplexitätsgrad mit zunehmender Partizipation von Lernenden. Generell ist davon abzuraten, Lernende aufzunehmen. Auch wenn diese einer Aufnahme zugestimmt haben, verändert sich erfahrungsgemäß die Sozial- und Lerndynamik durch die Aufnahme. Davon abgesehen, ist es sehr aufwändig, konzeptionell wie auch technisch, komplexe Parallelstrukturen in Lehr-Lernszenarien (z. B. Gruppenarbeiten) sinnvoll aufzuzeichnen und später wiederzugeben. Die Aufzeichnung von reinen Inputphasen kann aber in sehr interaktiven Lehrveranstaltungen sinnvoll sein. Wenn zum Beispiel ein Vortrag oder eine ganze Vorlesung aufgezeichnet werden sollen, bietet es sich an, sowohl den Bildschirm der vortragenden Person als auch deren Stimme aufzuzeichnen. Im Hinblick auf Accessibility ist es vor allem für Menschen mit Hörbeeinträchtigung zudem wichtig, ein gutes Bild des Gesichts der Sprecher*innen zu haben, da dadurch das Lippenlesen ermöglicht wird (→Frage 34). Relevant ist bei solchen Live-Mitschnitten auch die Frage danach, wie mit Fragen oder Kommentaren von Lernenden umgegangen wird. In der Praxis bietet es sich an, diese nicht im Original aufzuzeichnen, sondern sie grundsätzlich selbst einmal mündlich zu wiederholen. So wird die fragende Person geschützt und sichergestellt, dass die Frage auf der Aufzeichnung gut zu hören ist. Zusätzlich dient dieses Vorgehen auch einer barrierearmen Lehre, zumal wenn die Fragesteller*innen nicht sichtbar sind.
Grundsätzlich lohnt es sich aber immer, darüber nachzudenken, ob der Lehrvortrag bereits vorab als Lehrvideo produziert werden und gegebenenfalls, dem Flipped-Classroom-Konzept folgend (→Frage 6), in die Vorbereitungszeit verlegt werden kann. Dafür spricht, dass sich in Ruhe aufgenommene Lehrvideos für die spätere nachhaltige Nutzung besser eignen als Aufzeichnungen, also eigentlich Nebenprodukte, von synchronen Veranstaltungen, die von der Präsenz der Teilnehmer*innen leben. Solche Lehrvideos können mehrfach eingesetzt werden und in den synchronen Veranstaltungen bleibt mehr Zeit für Übungen und Diskussionen.
Bei komplexen studierendenzentrierten Veranstaltungen und Phasen bietet es sich an, anstelle von Aufzeichnungen Ergebnisse und Lernprodukte (z. B. eine entstandene Mindmap) zur Verfügung zu stellen, anhand derer die Veranstaltung nachvollzogen werden kann (→Frage 7).
Eggensperger, P., Kleiber, I., Klöber, R., Lorenz, S.M. & Schindel, A. (2023) Virtuelle Hochschullehre. Ein Handbuch in 50 Fragen und Antworten, Heidelberg: heiBOOKS, S. 39-40