VI. Partizipation und Motivation 46. Wie kann ich bei längeren synchronen Sitzungen die studentische Partizipation aufrechterhalten?
Lehrsituationen, die größtenteils frontal gestaltet sind und die Lernenden damit in einer passiven oder zumindest sehr rezeptiven Rolle ansprechen (z. B. wenn Studierende 90 Minuten lang nur zuhören), können sehr anstrengend sein. Dies gilt insbesondere auch in der synchronen Online-Lehre (→Frage 12). Um die Studierenden aus einer passiv-rezeptiven „Konsumhaltung“ herauszuholen und sie zum aktiven Teilnehmen zu motivieren, ist der Wechsel von kollektiven Input- und individuellen Verarbeitungsphasen im Sinne des Sandwich-Prinzips wichtig (→Frage 11). Im Folgenden sind drei lernförderliche Elemente näher beschrieben, die sich bei der Gestaltung von partizipativer virtueller Lehre als hilfreich erwiesen haben:
Die Anwendung eines sogenannten „Advance Organizer“ (Wahl 2011) bietet für alle an einer Lehrveranstaltung Beteiligten wichtige Orientierung. Den Studierenden wird hier zu Beginn einer Sitzung eine „Tagesordnung“ zur Verfügung gestellt, um die Videokonferenz klar zu strukturieren und zu terminieren. Hier werden vor allem aber auch die Detailinformationen in einen Ge- samtzusammenhang gesetzt, was wiederum allen Beteiligten hilft, sich zu je- dem Zeitpunkt der Lehrveranstaltung zu orientieren. Dabei ist es zentral, die Lernziele zu formulieren und an ihnen zu verdeutlichen, was an Aktivitäten gefordert ist. Bei längeren Videokonferenzen sollten entsprechende Pausen eingeplant und auch diese Struktur zu Beginn der Sitzung transparent kommuniziert werden. Diese Transparenz kann studentische Partizipation aktiv fördern.
Um Partizipation in Inputphasen (→Frage 12) zu gewährleisten, sollten die- se durch Umfragen (in den meisten Videokonferenz-Tools problemlos möglich) oder kurze Abfragen und Feedbackrunden (z. B. über externe Tools wie Mentimeter) gerahmt werden, um vor dem Input Vorerfahrungen zu aktivieren und nach dem Input neue Informationen in den studentischen Erfahrungshintergrund zu integrieren. Dies kann bereits sehr niederschwellig dadurch geschehen, dass die Studierenden innerhalb einer kurzen Zeit explizit auf eine bestimmte Frage, zum Beispiel im Chat, reagieren sollen. Eine solche Abfrage aktiviert die Lernenden und die Lehrperson erhält ein Feedback, ob alle noch „anwesend“ sind. Im besten Falle führt ein solches Vorgehen dazu, dass die Studierenden sich immer wieder als kompetent erleben und sich durch den Abgleich mit anderen auch sozial eingebunden fühlen, sodass sie motiviert sind, aktiv an der Sitzung teilzunehmen.
Um die Partizipation von Studierenden während der Verarbeitungsphasen aufrecht zu erhalten, können interaktive Aufgaben eingeplant werden, die in kleineren Gruppen gemeinsam erarbeitet werden (→Frage 45). Gerade in der hybriden Lehre (→Frage 17) ist hier auch ein arbeitsteiliges Vorgehen möglich, im Rahmen dessen verschiedene Gruppen von Studierenden unterschiedliche Aufgaben erledigen und abschließend zusammenführen. Im virtuellen Setting bieten sich vor allem sogenannte Breakout-Räume an, in denen die Studieren- den in kleineren Gruppen diskutieren und arbeiten können. Für das kollaborative Arbeiten eignen sich digitale Pinnwände, Pads oder Whiteboards, die von mehreren Teilnehmer*innen gleichzeitig genutzt werden können, so dass zum Schluss auch ein gemeinsames Ergebnis präsentiert werden kann. Natürlich können die Verarbeitungsphasen aber auch zum individuellen Lernen genutzt werden. Aufgaben werden dann einzeln von Studierenden bearbeitet. Hierbei wird das Lernen vor allem dadurch unterstützt, dass die Lernenden ihren Lernprozess dokumentieren und reflektieren. Diese Möglichkeiten können entweder in der synchronen Sitzung gegeben werden oder aber durch Portfolios, Arbeitsblätter oder schriftliche Einreichungsaufgaben strukturiert werden. Hierdurch gewinnen Lernende und gegebenenfalls Lehrende einen Ein- und Überblick über den Lernfortschritt. Idealerweise führt dieses Vorgehen zu Autonomie- und Kompetenzerleben, da selbstgesteuert gelernt wird. Im Falle eines Austausches oder Feedbacks zu diesen Reflexionen ist dies auch dem Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit zuträglich, so dass die intrinsische Motivation der Studierenden die Wahrscheinlichkeit der aktiven Partizipation erhöhen sollte.
Eine sinnvolle Kombination von Transparenz, partizipativer Gestaltung von Informationsvermittlung in Inputphasen und dem kompetenzorientierten Einsatz von Verarbeitungsphasen begünstigt damit direkt die Motivation der Lernenden auch während synchroner Online-Lehre. Diese Motivation gründet sich essenziell auf der Möglichkeit zur aktiven Partizipation an der Lehrveranstaltung. Dadurch werden letztlich die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Lernende Eigenverantwortung für das Gelingen der Veranstaltung und letztlich ihren eigenen Lernprozess übernehmen können.
Eggensperger, P., Kleiber, I., Klöber, R., Lorenz, S.M. & Schindel, A. (2023) Virtuelle Hochschullehre. Ein Handbuch in 50 Fragen und Antworten, Heidelberg: heiBOOKS, S. 130-132