IV. Classroom Management, Lernmaterialien und Accessibility 34. Wie kann (synchrone) virtuelle Lehre im Sinne der Accessibility lernförderlich gestaltet werden?
Lernendenzentrierte Lehre stellt die Lernenden in den Mittelpunkt und legt Wert auf Lernumgebungen, die für alle lernförderlich sind; dieser Grundsatz gilt auch bei virtuellen Formaten. Wie oben bereits beschrieben, werden unter Barrieren physische Hindernisse und auf körperlichen Beeinträchtigungen basierende Diskriminierungen verstanden, die auch im digitalen Raum existieren. Jedoch umfasst Accessibility auch soziale beziehungsweise sozio- ökonomische Komponenten, die im virtuellen Kontext verstärkt eine Rolle spielen können (z. B. kann auch das Zusammenleben mit kleinen Kindern, Familienmitgliedern oder Mitbewohner*innen auf engem Raum eine große Barriere für ein erfolgreiches Lernen sein). Gerade vor diesem Hintergrund ist eine barrierearme Lehre oft auch hilfreich für Studierende ohne Beeinträchtigungen: Verschiedene Formate anzubieten, kann zum Beispiel auch solchen Studierenden helfen, die keinen Raum haben, in dem sie ungestört ein Video anschauen oder einen Podcast hören können, und die stattdessen auf ein Transkript zurückgreifen oder Untertitel zu Hilfe nehmen; ähnliches gilt für internationale Studierende oder Nicht-Muttersprachler*innen. Somit bedeutet die Gestaltung von barrierearmer Lehre für Lehrende zwar zunächst einen Mehraufwand (der rein rechtlich im Sinne der Chancengleichheit gefordert ist), zeigt sich jedoch auch als großer Gewinn für eine Vielzahl von Studierenden. Diese Frage geht zunächst auf potenzielle Probleme in Bezug auf Zugänglichkeit in der synchronen Online-Lehre beziehungsweise in synchronen Anteilen der Hybrid-Lehre ein, das heißt insbesondere in Bezug auf eine barrierearme Gestaltung von Videokonferenzen. Auf konkrete Fragen zu der Erstellung von barrierearmen Materialien sowie zu asynchronen, audiovisuellen Formaten wird in den →Fragen 35–37 eingegangen.
Synchrone Videokonferenzen können besonders für hörbeeinträchtigte Studierende eine große Hürde bedeuten. Oft gibt es gute Gründe, warum Studierende ihre Kamera in synchronen Lehrveranstaltungen ausgeschaltet lassen; als Lehrende darauf zu bestehen, dass Studierende ihre Kameras angeschaltet lassen, kann zum Beispiel aus sozio-ökonomischer Sicht problematisch sein und die Privat- und Intimsphäre von Studierenden oder anderen anwesenden Personen verletzen. Hier treffen verschiedene Ansprüche und Bedürfnisse aufeinander, da hörbeeinträchtigte Studierende bei synchronen Videokonferenzen häufig auf ein den Ton stützendes Bild angewiesen sind, welches ihnen das Lippenlesen ermöglichen könnte. Schalten Kommiliton*innen ihre Kamera aus, ist es hörbeeinträchtigten Studierenden nicht möglich, ihren Beiträgen zu folgen. Auf diese Umstände sollten Lehrende zunächst hinweisen und entsprechende Formen der Kommunikation vereinbaren (→Fragen 28, 38); manchmal reicht das Bewusstsein für eine Herausforderung und der Wille, Kommiliton*innen zu helfen, um einen solchen Situation zu lösen. Lassen Teilnehmer*innen ihre Kameras dennoch ausgeschaltet, sollten Lehrende Wortbeiträge von Studierenden ohne Kamera kurz wiederholen beziehungsweise die wichtigsten Punkte zusammenfassen und beeinträchtigten Studierenden so eine Teilnahme an der Diskussion ermöglichen.
Ebenso können Beiträge über eine Chatfunktion geschrieben beziehungs- weise während des Sprechens Mitschriften angefertigt werden, sollte eine geteilte Notiz-Funktion beziehungsweise ein Whiteboard Teil des Videokonferenz-Programms sein (→Frage 29). Gerade vor diesem Hintergrund können auch Protokolle und Transkripte essenziell sein (zur Gestaltung von barrierearmen Dokumenten, →Frage 35). Sind alle Kameras angeschaltet, sollte ferner darauf geachtet werden, dass die Sprecher*innen im Bild zu sehen und klar erkennbar sind, das heißt nicht ihren Mund verdecken und genügend beleuchtet sind. Aus diesem Grund ist es hilfreich, Studierende darauf hinzuweisen, nicht mit zwei Bildschirmen zu arbeiten und dadurch von der Kamera abgewandt zu sprechen. Und schließlich sollten Untertitel auch in synchronen Videos, wie zum Beispiel Videokonferenzen, Standard sein. Viele Videokonferenz- Programme, die an Hochschulen genutzt werden, bieten inzwischen automatisierte Untertitel auf Deutsch. Weiterhin können auch Sprache-zu-Text- Anwendungen wie Web Captioner über einige technische Umwege zur Anwendung kommen und Live-Untertitel, zum Beispiel durch das Nutzen einer virtuellen Kamera, um die Sprachbeiträge der Lehrenden zu untertiteln (10). Für das Untertiteln von Sprachbeiträgen seitens der Studierenden gibt es eben- falls Möglichkeiten. Hörbeeinträchtigte Studierende können zum Beispiel mit Audioumleitungen arbeiten, um Live-Untertitel sowie Skripte für alle Sprachbeiträge zu erhalten (11). Das Schaffen eines Bewusstseins für Herausforderungen bei der Zugänglichkeit bei Lehrenden und Studierenden sowie die obengenannten Vorgehensweisen zum Abbau vorhandener Barrieren auch in digitalen Kontexten können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, einzelne Barrieren in der virtuellen Lehre abzubauen und allen Studierenden die Teilnahme an (synchronen) Veranstaltungen zu erleichtern.
Eggensperger, P., Kleiber, I., Klöber, R., Lorenz, S.M. & Schindel, A. (2023) Virtuelle Hochschullehre. Ein Handbuch in 50 Fragen und Antworten, Heidelberg: heiBOOKS, S. 98-100