IV. Classroom Management, Lernmaterialien und Accessibility 29. Wie kann die Zusammenarbeit von „sprechenden“ und „chattenden“ Teilnehmer*innen gestaltet werden?
Insbesondere in der synchronen Hybrid- und Online-Lehre, zum Beispiel in Videokonferenzen, kommt es immer wieder zu Situationen, in denen auf zwei Kanälen kommuniziert wird. Während manche Teilnehmer*innen, inklusive der Lehrperson, sprechend per Audio und Video teilnehmen, kommunizieren andere schriftlich über den Chat. Dabei ist zuerst einmal festzuhalten, dass die textbasierte Kommunikation nicht besser oder schlechter, sondern schlichtweg fundamental anders ist. Während der/die Sprecher*in im Vordergrund steht und mit Stimme, Gesten und Gesichtsausdruck kommunizieren kann, lebt der Chat davon, dass viele Stimmen und Konversationen parallel stattfinden können und niemand automatisch im Vordergrund steht oder stehen muss. Ganz davon abgesehen, ermöglicht der Chat Teilnehmer*innen auch, Gedanken und Fragen zu kommunizieren, die nicht (mehr) direkt in das Gespräch passen. Auch für Teilnehmer*innen mit bestimmten Beeinträchtigungen, zum Beispiel im auditiven Bereich, kann eine Partizipation über den Chat eine aktive Teilnahme an den Lehr-Lernaktivitäten ermöglichen.
Grundsätzlich kann zwischen zwei Situationen unterschieden werden: zum einen die aus der Präsenzlehre gut bekannte Gruppendiskussion, zum anderen eine dem virtuellen Raum geschuldete Form von Parallel-Gesprächen, die in der Präsenzlehre wie eine Störung wirken würden, in der Online-Lehre jedoch lernförderlich genutzt werden können. Im ersten Fall lässt sich ein klassisches Unterrichtsgespräch vorstellen, zum Beispiel eine Diskussion, an der im virtuellen Raum sowohl „sprechende“ als auch „chattende“ Lernende teilnehmen können. In diesem Fall ist es hilfreich, wenn der Chat kontinuierlich im Blick gehalten und ihm eine Stimme verliehen wird, zum Beispiel durch wechselnde (studentische) Chat-Moderator*innen. So können Beiträge aus dem Chat organisch in das gesprochene Gespräch eingeflochten werden. Ebenfalls kann es hilfreich und auch motivierend sein, wenn vereinbarte Zeichen, zum Beispiel Emojis, die Verständnis oder Unverständnis ausdrücken, eingesetzt werden, die der Chat an den oder die Sprecher*in senden kann. So wird ein unmittelbares Feedback ermöglicht, ohne die Sprechenden zu unterbrechen.
In der zweiten, für den virtuellen Raum typischen Situation finden parallele Gespräche zwischen Lernenden, ohne direkten Einbezug der sprechenden Person, statt – zum Beispiel während eines Vortrags. Die Gesprächsdimension verläuft hierbei gerade nicht von der sprechenden Person hin zu den Zuhören- den und zurück, sondern die Zielgruppe des Chats sind lediglich die anderen Zuhörenden. Dementsprechend sollte der Chatverlauf zwar beobachtet werden (auch um Abschweifungen oder persönliche Gespräche zu verhindern), muss aber nicht kontinuierlich an die sprechende Person rückgemeldet werden. Häufig versuchen Lehrende in diesen Situationen dennoch, das Chatgeschehen vollständig in das laufende Gespräch zu integrieren oder die parallelen Diskussionen – wie es in der Präsenzlehre beim Tuscheln zweier Sitznachbar*innen geschehen würde – zu unterbinden. Beides ist nicht zu empfehlen: Der parallele Chat ist eine hochproduktive Online-Kulturtechnik (z. B. in Livestreams) und führt erfahrungsgemäß häufig eher zu mehr Beteiligung und Aufmerksamkeit als zu weniger. Auf jeden Kommentar einzugehen, stört wiederum das Gespräch zwischen denen, die per Videochat kommunizieren. In den meisten Fällen verhält es sich dabei so, dass es eine primäre Konversation – per Videokonferenz – gibt und Nebendiskussionen im Chat. Ein praktischer Weg, damit umzugehen, ist es, diese Nebengespräche nicht als Störfaktor, sondern als Inspirationsquelle zu verstehen und einzelne ausgewählte Impulse aus dem Chat in die Hauptkonversation aufzunehmen (z. B. durch direkte Nachfrage nach wichtigen Punkten aus dem Chat). Sollten die Nebendiskussionen „Überhand“ gewinnen, bietet es sich didaktisch an, auf ein Gruppengespräch, beispielsweise mit Breakout-Räumen, umzusteigen. Hier werden dann am besten „sprechende“ und „chattende“ Teilnehmer*innen zusammengewürfelt, da die Kommunikation auf einem Kanal häufig einfacher vonstattengeht.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die mehrkanalige Kommunikation sehr viel besser funktioniert, wenn diese durch Chat-Moderator*innen und ein gemeinsam erarbeitetes „Regelwerk“ (→Fragen 28 und 38) gelenkt wird. Wer erleben möchte, wie verrückt, aber auch kommunikativ erfolgreich parallele Chatkommunikation funktionieren kann, sollte sich außerdem die Zeit nehmen, professionelle Streamer (z. B. über Twitch) dabei zu beobachten, wie diese mit „ihrem“ Chat interagieren und welche Rolle dieser einnimmt und einnehmen kann.
Eggensperger, P., Kleiber, I., Klöber, R., Lorenz, S.M. & Schindel, A. (2023) Virtuelle Hochschullehre. Ein Handbuch in 50 Fragen und Antworten, Heidelberg: heiBOOKS, S. 90-91