II. Veranstaltungsformate 19. Wie kann forschungsorientierte Lehre in virtuellen Formaten umgesetzt werden?

Forschungsorientierte Lehre beziehungsweise forschendes Lernen (FoL) ist ein didaktisches Lehr-Lernkonzept, das sich durch seine Lernendenzentrierung auszeichnet, da es das selbstständige Lernen von Studierenden in den Mittel- punkt stellt (Huber 2009; Mieg 2017). Die Wirksamkeit von FoL in Bezug auf den Studienerfolg, das Senken von Abbruchquoten, das Austarieren heterogener Gruppen und die Motivation von Lernenden ist inzwischen gut belegt (Klöber 2020). Das Ziel von FoL ist das Erlangen konkreter Forschungskompetenzen durch die Studierenden in Lehrveranstaltungen (oder über den Verlauf des Curriculums). In seiner konsequentesten Form bedeutet dies, dass Studie- rende den Forschungszyklus einer Disziplin – von der Entwicklung der Fragestellung über die Auswahl von Theorien, Methoden und Daten bis hin zur Produktion von Ergebnissen etc. und letztlich zur Sichtbarmachung dieser Ergebnisse – in einzelnen Lehrveranstaltungen oder ganzen Curricula komplett durchlaufen (Huber 2009; Tremp und Hildbrand 2012). Um dies in der Lehre ganz oder in Teilen abzubilden, muss zunächst dieser Zyklus, also die Arbeitsschritte, aus denen Forschung besteht, transparent und explizit gemacht werden. Was heißt „Forschung“ in meiner Disziplin? Welche Tätigkeiten werden hier konkret durchgeführt? Aus dieser Definition und Explikation ergibt sich ein Forschungszyklus, der aus bestimmten Etappen von Handlungen besteht, die sich somit als erlernbare Kompetenzen in Lernziele übersetzen lassen.

Es muss also gefragt werden, welche dieser Forschungshandlungen in virtuell durchgeführten Formaten erlernt werden können. Das wird für einige Kompetenzen möglich sein, für andere jedoch nicht – etwa im Falle solcher, die eine Präsenz an einem physischen Ort (z. B. archäologische Ausgrabungen, ethnologische Exkursionen) oder etwa die Nutzung notwendiger Infrastruktur voraus- setzen (wie z. B. spezielle Geräte in Laboren o. Ä.). Der Fokus muss also darauf liegen, Lernmöglichkeiten für solche Kompetenzen im Sinne des Forschungszyklus zu bieten, die virtuell zu erwerben sind. Forschungsorientierung in der Lehre besteht aus vielen Aspekten (Healy und Jenkins 2009), die teilweise problemlos online eingeübt werden können. Hierzu zählen beispielsweise all jene Aktivitäten, die mit Literaturarbeit, Datensammlung, Schreiben oder der Entwicklung von Forschungsdesigns verknüpft sind. Durch das transparente und dezidierte Verknüpfen dieser Tätigkeiten mit den Forschungsschritten der eigenen Disziplin können die Lernenden auch im virtuellen Raum relevante Forschungskompetenzen erwerben.

Eine virtuelle Umsetzung von FoL kann auch neue Möglichkeiten der Kooperation eröffnen, wenn studentische Zusammenarbeit in Forschungsgruppen organisiert wird, die synchron und asynchron an bestimmten Aufgaben arbeiten. Gerade für Varianten von hybridem Lehren und Lernen (→Frage 15) ergeben sich hierdurch sinnvolle und neue Kollaborationsmöglichkeiten, zum Beispiel indem eine Gruppe Studierender solche Aufgaben übernimmt, die auch digital bearbeitbar sind und die Ergebnisse mit einer Gruppe Studierender teilt, die sie in Präsenz praktisch zur Anwendung bringen können. Solche Hybrid- Formate können durch virtuelle Mobilität (auch über nationale Grenzen hin- weg) somit durchaus auch die oben erwähnten Fälle von Lehr-Lernaktivitäten ermöglichen, in denen physische Präsenz notwendig ist, wenn sich zum Bei- spiel nur ein Teil der Lerngruppe auf einer archäologischen Ausgrabung, Exkursion oder in einem Museum oder Archiv befindet, dabei jedoch von einer virtuellen Gruppe angeleitet, beraten oder begleitet wird.

Eggensperger, P., Kleiber, I., Klöber, R., Lorenz, S.M. & Schindel, A. (2023) Virtuelle Hochschullehre. Ein Handbuch in 50 Fragen und Antworten, Heidelberg: heiBOOKS, S. 64-65