VI. Partizipation und Motivation 47. Wie lassen sich Lernende motivieren, mehr Fragen zu stellen und sich an der Diskussion zu beteiligen?

Es wird für Lernende wahrscheinlicher, sich aktiv in eine Veranstaltung einzubringen, sich an Diskussionen zu beteiligen und Rückfragen zu stellen, wenn explizit Arten von Partizipation ermöglicht werden, die motivationsförderlich sind und dadurch wiederum das Lernen begünstigen. Gerade durch die Etablierung einer offenen Kommunikations- und Feedbackkultur, in welcher Fragen und gegenseitiges Feedback (→Frage 40) fester Bestandteil sind, kann dieses Ziel erreicht werden.

Um ein solches Vorgehen erfolgreich zu implementieren, sollten von Beginn der Veranstaltung an (und bestenfalls bereits in der Planung) aktive Diskussion, Feedback und offene, respektvolle Kommunikation als fixe Säulen mit geplant werden. Dafür bedarf es jedoch gerade in virtuellen Veranstaltungen einer organisatorisch-technischen Struktur, die regelt, wann, wo und in welcher Form Diskussion, Kommunikation und Feedback stattfinden sollen und welche Regeln befolgt werden müssen, um einen konstruktiven Austausch zu ermöglichen (z. B. in einem Lernkontrakt, →Frage 38). Im Rahmen der Einführung in die Veranstaltung sollten diese Informationen transparent gemacht beziehungsweise gemeinsame Regeln zusammen mit den Studierenden entwickelt werden (→Frage 28). Neben diversen Möglichkeiten des individuellen Austausches über Foren, E-Mails, Chat, Videosprechstunden etc. sollten ebenso Möglichkeiten für Nachfragen und Feedback strukturell integriert werden (z. B. nach jeder Aktivität oder nach jedem Themenblock). Über diese Feedback- Schleifen können Lernende stetig Rückmeldung zu Aktivitäten, Themen oder zum Ablauf der Veranstaltung geben, Wünsche äußern und gleichzeitig ihren eigenen Lernfortschritt evaluieren (→Frage 22).

An substantielles studentisches Feedback (z. B. nach der Hälfte des Semesters) sollte eine sichtbare Reaktion seitens der Lehrenden gekoppelt werden, sei es zum Beispiel in Form einer öffentlichen oder schriftlichen Ankündigung, in der die Lehrperson die wichtigsten Ergebnisse kurz zusammenfasst beziehungsweise Anpassungen der Ablaufstrukturen erläutert, die auf der Basis des Feedbacks vorgenommen werden (Friedlander 1978). Wird dieser Prozess durch Expert*innen aus der Hochschuldidaktik (Wickramasinghe und Timpson 2006) oder didaktisch geschulte Kolleg*innen (Snooks, Neeley und Williamson 2004) begleitet (zum Beispiel durch didaktische Beratungen, die Lehrenden dabei helfen sollen, das Feedback auszuwerten und gegebenenfalls geeignete didaktische Änderungen vorzunehmen), so erhöht sich der Lerneffekt der Studierenden. Aber auch ohne solch didaktische Begleitung können Rückmeldungen seitens der Lehrenden bezüglich des studentischen Feedbacks Studierenden das Signal vermitteln, dass ihr Feedback ernstgenommen wird. Dies trägt idealiter zu einer verbesserten Kursatmosphäre bei, welche die Motivation und Partizipation von Studierenden erhöhen und somit ihr Lernen fördern kann (Hunt 2003; Murray 2007; Payette und Brown 2018). Gerade diese substantiellen Feedback-Schleifen können vereinzelt als verpflichtende Aktivität integriert werden, zum Beispiel als Abschlussfeedback eines Themas, nach der Hälfte des Semesters oder an Stellen, an denen neue Formate ausprobiert wurden.

Aber auch in konkreten Situationen wie Diskussionen kann die Motivation der Studierenden einen großen Unterschied machen. Um solche Formate in der virtuellen Lehre lebendig zu gestalten und gerade das Schweigen schwarzer Bildschirme zu vermeiden, empfiehlt es sich, (synchrone) Diskussion durch einige einfache strukturierte Diskussionsmethoden oder Lehr-Lernaktivitäten vorzubereiten. Häufig bieten sich dabei Formate an, die sich auch in der Präsenzlehre bewährt haben. Lehrende können zum Beispiel …:

  • … explizite Reflexion vor der Gruppendiskussion ermöglichen (z. B. durch Schreibaufgaben mit vorgegeben Fragen oder zum Sammeln eigener Gedanken zu einem Thema; mit dem Formulieren eigener Fragen an ein Thema oder einen Text; oder durch Austausch in kleineren Gruppen wie bei „Think–Pair–Share“-Formaten);
  • … ein Brainstorming auf einem kollaborativen Tool einfordern (z. B. digitale Pinnwand, Chat), um die Diskussion anzustoßen;
  • … offene Fragen stellen, die dazu einladen, den eigenen Lernprozess zu reflektieren („Was ist Ihre größte Erkenntnis? Was ist unklar? Wo brauchen Sie noch mehr Informationen?“);
  • … die eigentliche Diskussion durch einen „stummen Dialog“ als schriftliche Form der Kommentierung (Zustimmung; Widerspruch; weitere Fragen) ergänzen lassen, zum Beispiel im Chat, so dass auch eher zurückhaltende Studierende sich aktiv beteiligen können;
  • … Diskussionsbeiträge als Gruppenantworten zulassen;
  • … Diskussionen durch ein vorgegebenes Format strukturieren, im Rahmen dessen allen Beteiligten eine klare Rolle zukommt (z. B. virtuelle Fishbowl oder Hot-Seat-Settings, in denen Studierende in Diskussions-Leiter*innen und Fragesteller*innen unterteilt sind; Kleingruppen- Settings in Breakout-Räumen mit klar verteilten Aufgaben wie „Verteidiger*in eines Textes“, „Widersacher*in“ und „Schlichter*in“; oder Plenumsdiskussionen mit vorgegeben Diskussions-Strategien,  durch die sich alle Studierenden mindestens einmal beteiligen müssen und welche die Art des Beitrags, nicht jedoch den Inhalt vorgeben, wie z. B. „Präsentieren Sie eine Alternative“, „Stellen Sie eine Verständnisfrage“ etc.).

Viele dieser Methoden oder Strukturen lassen sich auch spontan einsetzen, also zum Beispiel wenn die geplante Diskussion nicht zustande kommt oder er- lahmt. Hier ist es oftmals sehr hilfreich, das „Schweigen“ durch derartige Aktivitäten zu brechen. Die Kombination einer etablierten Feedbackkultur mit (se- mi-)strukturierten Diskussionsmethoden ist insgesamt besonders lern- und motivationsförderlich. Hierdurch werden die Studierenden nicht nur durch Engagement mit dem Lernstoff aktiviert und der Lernprozess gefördert. Viel- mehr bieten die sozialen Elemente der gemeinsamen Reflexion, die Transparenz über den Lernprozess der Gruppe und die Diskussion selbst fruchtbare Potenziale zum Aufbau studentischer Motivation.

Eggensperger, P., Kleiber, I., Klöber, R., Lorenz, S.M. & Schindel, A. (2023) Virtuelle Hochschullehre. Ein Handbuch in 50 Fragen und Antworten, Heidelberg: heiBOOKS, S. 132-135