V. Kollaboration, Kommunikation und Rollenverständnis 39. Wie kann Beziehungsarbeit in virtuellen Kontexten funktionieren und Vertrauen aufgebaut werden?

Aktives wie kollaboratives Lernen setzt voraus, dass eine gute Beziehung innerhalb der Gruppe der Lernenden in Präsenz zu den virtuell zugeschalteten Lernenden in hybriden Situationen, aber auch zwischen den Lernenden und ihren Lehrenden herrscht. Beziehung, oder Rapport, umfasst dabei alles, was notwendig ist, um gemeinsam zielorientiert arbeitsfähig zu sein. Da in der virtuellen Lehre nahezu alle informellen Räume wegfallen, die üblicher- weise zum Aufbau von Beziehungen und Vertrauen genutzt werden können, ist es gerade im virtuellen Raum wichtig, aktiv Beziehungsarbeit zu betreiben und den Aufbau von Beziehungen auch außerhalb der synchronen Phasen zu fördern.

Insbesondere die folgenden vier Strategien haben sich in der virtuellen Lehre als hilfreich und praxistauglich erwiesen:

  1. Die schwierige soziale Situation sollte offen thematisiert und besprochen werden, um die Teilnehmer*innen für das Problem zu sensibilisieren und ein deutliches Zeichen dafür zu setzen, dass die Lehrenden Beziehungsarbeit neben fachlichen Interessen als einen wichtigen Teil ihrer Lehre erachten. In diesem Rahmen ist es auch sinnvoll, sich als Lehrperson offen für eine Kommunikation außerhalb von synchronen Sitzungen zu zeigen. Regelmäßige Check-Ins zur generellen Befindlichkeit der Studierenden beziehungsweise zu potenziellen Barrieren beim Lernen, offene Sprechstunden, sowie eine generelle Bereitschaft, zum Beispiel über Foren, Chats oder E-Mail-Verteiler häufig aufkommende Fragen zu beantworten, erleichtert es den Studierenden, sich auch in asynchronen Phasen oder bei Problemen ausreichend unter- stützt zu fühlen.
  2. Die Kommunikation mit und in der Lerngruppe sollte von einem anerkennenden und nahbaren Kommunikationsstil geprägt sein. Da Zwischentöne online schneller verloren gehen, ist es empfehlenswert, alle Modi der digitalen Kommunikation, zum Beispiel auch Emojis und GIFs, auszunutzen, um die Kommunikation persönlicher und klarer zu machen. Grundsätzlich sollte zudem gelten: Je emotionaler das Thema, desto synchroner sollte die Kommunikation gestaltet werden (→Frage 11)!
  3. Die Schaffung von gemeinsamen Ritualen und der Einsatz von Aktivitäten wirken sich positiv auf das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gruppe aus. Schon einfache Rituale, zum Beispiel ein kurzes und persönliches Check-In aller Teilnehmer*innen vor Beginn einer Sitzung im Chat (z. B. „Posten Sie ein Emoji, welches Ihre aktuelle Gefühlslage beschreibt.“), kann große Effekte auf eine positive Beziehungsgestaltung haben. Auch der verstärkte Einsatz von kollaborativen Methoden in asynchronen Phasen, gestützt durch eine transparente Kommunikation, kann die Beziehungen zwischen Studierenden gezielt fördern.
  4. Es bietet sich an, soziale Räume – zum Beispiel einen gemeinsamen Austauschraum auf Kommunikationsplattformen (Instant-Messaging- Dienste oder z. B. Discord) oder in „Spatial Video Chats“ wie Gather.Town oder wonderme – zu schaffen, die es der Gruppe erlauben, sich (auch informell) auszutauschen und in Kontakt zu bleiben, gerade auch außerhalb der synchronen Abschnitte  einer  Lehrveranstaltung. Die Lehrenden sollten hierbei jedoch zwischen Kanälen unterscheiden, die sie selbst (oder vielleicht auch das Institut bzw. die Fakultät) für eine virtuelle Kommunikation mit Studierenden nutzen wollen, und solchen Kanälen, die zwar von Lehrenden angelegt werden können, aber dezidiert der Vernetzung Studierender untereinander dienen sollen. Dabei sollten Lehrende der Versuchung widerstehen, selbst in allen informellen Kanälen zu agieren und auch zur Wahrung der eigenen Grenzen klar an ihre Studierenden kommunizieren, welche Arten von Fragen Studierende untereinander und in ihren eigenen Kanälen klären sollten und in welchen Kontexten die offiziellen Kanäle für die direkte Kommunikation mit der Lehrperson genutzt werden sollten.

Eggensperger, P., Kleiber, I., Klöber, R., Lorenz, S.M. & Schindel, A. (2023) Virtuelle Hochschullehre. Ein Handbuch in 50 Fragen und Antworten, Heidelberg: heiBOOKS, S. 113-114