IV. Classroom Management, Lernmaterialien und Accessibility 37. Was muss beim Video-Erstellen beachtet werden?
Es gibt für viele Fächer und Fachbereiche exzellente frei zugängliche Videos (Open Educational Resources), die effektiv und zeiteffizient in der Lehre eingesetzt werden können. Dennoch ist es gerade in Veranstaltungen für höhere Semester und in hochspezialisierten Studiengängen häufig nötig, dass Lehrende eigene Materialien erstellen. Gerade in Blended-Learning-Formaten und bei asynchron gestalteten Lehreinheiten bieten sich hier für Lehrende oft Videos als Format an. Bei der Erstellung eigener Videos als Lernmaterialien sollten Lehrende jedoch einige Grundregeln beachten. Einerseits sollten Videos nicht allzu lang sein, besonders wenn sie eher schlicht gehalten sind (z. B. Power-Point-Präsentationen mit Video der Lehrperson), da die Aufmerksamkeit der Zuschauenden nach 15–20 Minuten stark nachlässt. Sind längere Videos nötig, sollten die Vortragenden Unterkapitel erstellen, um das Finden konkreter Inhalte sowie das Zuschauen in mehreren Etappen zu erleichtern. Ebenso sollte bedacht werden, dass Studierende nicht immer Zugriff auf einen Computer haben oder sie bestimmte Aufgaben außerhalb klassischer Lernräume bearbeiten, was bedeuten kann, dass Videos auf Geräten mit kleineren Bildschirmen (wie Mobilgeräte) rezipiert werden. Lehrvideos sollten also sowohl in einem Format erstellt werden, welches auch auf mobilen Geräten abgespielt werden kann, als auch in ihrer Gestaltung so konzipiert sein, dass Aspekte wie Text oder Grafiken auch in kleineren Formaten erkennbar bleiben. Da in nicht- traditionellen Kontexten häufig mit Hintergrundgeräuschen zu rechnen ist, bietet es sich auch bei Videos an, Untertitel hinzuzufügen oder Skripte zur Verfügung zu stellen.
Viele Videobearbeitungstools (z. B. Camtasia) und Lernmanagementsysteme bieten die Möglichkeit, Videos um interaktive Elemente anzureichern. Dabei stellt die freie Software H5P eine besonders weit verbreitete Lösung dar, die oft bereits im LMS (z. B. Moodle oder ILIAS) zu finden ist. Mithilfe des Tools lassen sich im Video beispielsweise Quizfragen oder zusätzliche Informationen hinterlegen. So können Videos für die Lernenden interaktiver gestaltet werden und es kann ein rudimentäres formatives Assessment durchgeführt werden. Im Falle von H5P besteht beispielsweise auch die Möglichkeit, basierend auf den Antworten zu einer bestimmten Stelle im Video zu springen. Das erlaubt es Lernenden beispielsweise zu prüfen, ob sie einen Abschnitt überspringen können oder vielleicht noch einmal zurückgehen sollten.
Videos verhalten sich mit Blick auf das Urheberrecht nicht anders als andere Lernmaterialien. Insbesondere dann, wenn Videos aber öffentlich zugänglich gemacht werden, zum Beispiel als Open Educational Ressource, ist peinlich genau darauf zu achten, dass kein urheberrechtlich problematisches Material (beispielsweise geschützte Bilder zur Illustration oder Hintergrundmusik) verwendet wird. Um dieses Problem von Anfang an zu umschiffen, bietet es sich an, auf offen lizenzierte Ressourcen (Creative Commons) zurückzugreifen.
In Bezug auf Accessibility gelten die Hinweise für barrierearme Audiodateien (→Frage 36) grundsätzlich auch für andere Formate mit Audio-Anteilen wie Videos. Zusätzlich stellen Videos durch ihre Kombination von visuellen und auditiven Elementen jedoch eine weitere Herausforderung dar. Zwar können Audioelemente durch Untertitel unterstützt werden; dies hilft jedoch nicht den Menschen, die visuell beeinträchtigt sind. Taubblinde Menschen zum Beispiel profitieren auch hier von deskriptiven Transkripten, die den Inhalt des Videos verschriftlicht in Braillezeile wiedergeben können. Für sehbeeinträchtigte Menschen stellt insbesondere die visuelle Komponente ein Problem dar: Hier wird oft auf Audiodeskriptionen zurückgegriffen. Die Erstellung solcher Alternativformate, gerade ohne institutionellen Zugriff auf entsprechende Software-Programme, ist jedoch sehr zeitaufwändig. Stehen Untertitelungs-Software beziehungsweise Transkriptions-Services zur Verfügung, sollten diese regelmäßig genutzt werden. Jedoch ist es auch ohne solche Hilfsmittel bei audiovisuellen Materialien möglich, einige fundamentale Schritte zu unternehmen, um sie barriereärmer zu gestalten.
Wie bereits unter →Frage 36 erläutert, sollten asynchron bereitgestellte Präsentationen und Folien anstelle von Audio-Erklärungen (d. h. Tonspuren) wo möglich von Videos begleitet werden. Bei Videopräsentationen ist es jedoch wichtig, dass die Lehrenden beim Sprechen zu sehen sind und ihr Bild auch groß genug ist, um hörbeeinträchtigten Studierenden ein Lippenlesen zu ermöglichen (sofern dies der Datenschutz zulässt). Ferner sollten die Sprechenden darauf achten, den Mund beim Sprechen nicht zu verdecken und nicht mit dem Gesicht zur Tafel oder zu einem weiteren Bildschirm hingewandt zu sprechen. Wenn die Vortragenden zusätzlich Lippenstift tragen, kann das Lippenlesen weiter vereinfacht werden, da die Lippen so kontrastreicher erscheinen, was gerade bei Videos von geringerer Belichtung und Qualität wichtig sein kann. Dennoch ist es bei allen selbst erstellten Videos wie zum Beispiel aufgezeichneten Vorlesungen oder Präsentationen sehr wichtig, auf eine gute Ton- und Bildqualität zu achten, besonders mit Blick auf ausreichende, möglichst schattenfreie Beleuchtung des Gesichts der Sprechenden und auf einen störungsfreien Hintergrund. Bildschirm-Flackern oder blitzartige Effekte mit plötzlichem Farb- oder Hell-Dunkel-Wechsel sind insbesondere zu vermeiden, da diese epileptische Anfälle auslösen und auch für Menschen mit anderen Formen von Photosensibilität Beschwerden hervorrufen können. Ein übermäßiger Einsatz von Animationen, visuellen Ablenkungen (z. B. durch unübersichtliches oder überladenes Design) und Hintergrundgeräuschen ist ebenso zu vermeiden. Mindestens bei animierten Videos, in denen keine Sprecher zu sehen sind, deren Lippen gelesen werden können, sind Untertitel oder Transkripte ein absolutes Muss (siehe auch →Frage 36). Weitere Alternativ-Formate zum Beispiel für sehbeeinträchtigte Studierende könnten im Gespräch mit betroffenen Studierenden ermittelt und nach Bedarf angeboten werden.
Materialien, die für eine Sitzung oder Präsentation relevant sind (z. B. Folien), sollten außerdem bereits vor der synchronen oder asynchronen Präsentation zur Verfügung gestellt werden, um den Studierenden eine aktive Vorbereitung zu ermöglichen. Schließlich sollten Studierende genügend Zeit haben, Inhalte zu rezipieren und zu bearbeiten. Wie auch bei Audio-Dateien ist hier essenziell, dass Videos nicht automatisch wiedergegeben werden, sie angehalten werden können, ihre Lautstärke regulierbar ist und gerade in Prüfungs- Situationen durch Skripte oder Untertitel gestützt werden. Bei zeitgebundenen Aufgaben sollte man außerdem immer davon ausgehen, dass Studierende länger brauchen können, eine Aufgabe zu rezipieren und zu verstehen als zunächst geplant. Als Faustregel kann man davon ausgehen, dass Studierende mindestens zweimal so lange brauchen, einen Text zu lesen als die Lehrenden – bei Nicht-Muttersprachler*innen und beeinträchtigten Studierenden kann sich diese Zeit noch einmal verdoppeln, was auch bei Texten in Präsentationen und auf Folien zu beachten ist.
Eggensperger, P., Kleiber, I., Klöber, R., Lorenz, S.M. & Schindel, A. (2023) Virtuelle Hochschullehre. Ein Handbuch in 50 Fragen und Antworten, Heidelberg: heiBOOKS, S. 105-108