III. Assessment 27. Wie ist Online-Proctoring didaktisch einzuordnen?

Unter dem Begriff „Online-Proctoring“ werden verschiedene (technische) Lösungen zur Beaufsichtigung von Prüfungen (summatives Assessment; →Frage 23) zusammengefasst. Ziel des Online-Proctorings ist dabei, dass traditionelle Prüfungsformen, zum Beispiel Klausuren, ortsunabhängig und dennoch „sicher“ und „fair“, also unter vergleichbaren äußeren Bedingungen, durchgeführt werden können. Im einfachsten Fall kann zum Beispiel eine Webcam genutzt werden, um sicherzustellen, dass eine Prüfung ordnungsgemäß abgelegt wird.

Während es durch Online-Proctoring grundsätzlich möglich wird, gewohnte Prüfungsformen in der virtuellen Lehre umzusetzen, bringt dieses Vorgehen jedoch auch eine Reihe von Nachteilen und Herausforderungen mit sich. Neben allgemeinen technischen sowie prüfungs- und datenschutzrechtlichen Bedenken wird aktuell vor allem diskutiert, wie der potenzielle Eingriff in die Privatsphäre von Lernenden und deren Umfeld zu bewerten ist (siehe z. B. Botta 2020). Hier sind insbesondere auch soziale Faktoren und deren Folgen in den Blick zu nehmen: Insbesondere dann, wenn Prüflingen kein privater Raum zur Verfügung steht, verschärfen sich die Probleme, auch weil sich Dritte, zum Beispiel Mitbewohner*innen oder Familienmitglieder, häufig nicht im selben Raum aufhalten dürfen. Eine zusätzliche Brisanz bekommt das Thema dann, wenn die Überwachung durch automatisierte Systeme – typischerweise durch Aufnahme und automatisierte Identitätsverifikation – und nicht oder nur teil- weise durch die Lehrenden stattfindet.

Aus der didaktischen Perspektive sollte die Prüfung selbst und deren Zweck, vor allem vor dem Hintergrund der genannten Schwierigkeiten, in den Blick genommen werden. Während es Kontexte geben kann, in welchen eine beaufsichtigte Prüfung die einzige Möglichkeit darstellt (z. B. bei standardisierten Prüfungen), gibt es viele alternative Assessment- und Prüfungsformate (→Frage 23), die ohne (Online-)Proctoring auskommen. Insbesondere zur üblichen Prüfung verwandte Alternativen, zum Beispiel zeitlich begrenzte Open- Book-Klausuren anstelle von regulären Klausuren, lassen sich oftmals relativ einfach implementieren.

Bevor also gewohnte Formate durch Online-Proctoring weiterführt werden, sollte sichergestellt werden, dass die gewählte Form der Prüfung und Kontrolle notwendig und dem Lernprozess im Sinne des Constructive Alignment (→Didaktische Grundüberzeugungen) dienlich ist. Wenn man zum Beispiel auf Online-Proctoring setzt, um das Abschreiben zu verhindern, sollte gefragt werden, ob eine Prüfung, in welcher Abschreiben zum Erfolg führt, wirklich die ideale Prüfungsform für die zu erwerbenden Kompetenzen ist.

Wie oben bereits beschrieben, gibt es aber Situationen, in welchen Online-Proctoring sinnvoll, notwendig oder gar vorgeschrieben ist. In diesen Fällen sollte immer die Lösung gewählt werden, die bei Erfüllung des gewünschten Zwecks am wenigsten invasiv ist. Außerdem sollten die zu Prüfenden so früh- zeitig und transparent wie möglich über die genauen Prüfungsmodalitäten aufgeklärt werden, damit diese entsprechenden Vorbereitungen treffen können.

Eggensperger, P., Kleiber, I., Klöber, R., Lorenz, S.M. & Schindel, A. (2023) Virtuelle Hochschullehre. Ein Handbuch in 50 Fragen und Antworten, Heidelberg: heiBOOKS, S. 85-86