III. Assessment 22. Wie können formative Leistungsüberprüfungen in virtuellen Lehrformaten umgesetzt werden?

Formatives Assessment bedeutet, dass die Studierenden eine Rückmeldung zu ihrem individuellen Lernstand in Bezug auf die zu erreichenden Lernziele er- halten. Daher braucht es Situationen in der virtuellen Lehre, in denen die Studierenden die Möglichkeit haben, Informationen über den eigenen Lernprozess und -erfolg zu sammeln, abzugleichen und zu reflektieren. Damit können sie sich ein Bild davon machen, wo sie (auch im Vergleich zu anderen in der Gruppe) stehen und daraus weitere Lernschritte zur besseren Zielerreichung abzuleiten. Voraussetzung dafür ist, dass die Studierenden (a) wissen, was sie lernen sollen (Transparenz der Lernziele), (b) die Gelegenheit haben, Informationen über ihr Lernen zu sammeln (Selbst- und Fremdeinschätzung), und (c) sich mit den Peers und/oder den Lehrenden darüber auszutauschen (Abgleich Selbst- und Fremdeinschätzung). Grundsätzlich ist formatives Assessment in synchronen wie asynchronen Phasen möglich.

Für formative Assessments wird häufig auch der Begriff „Classroom Assessment Techniques“ (CATs) verwendet (Angelo und Cross 1993). Je nach Frage oder Aufgabenstellung können nicht nur die Lernziele, sondern weitere unterschiedliche Aspekte, die den Lernprozess der Studierenden mit beeinflussen, besonders in den Blick genommen werden – mündlich wie auch schriftlich. Die hier vorgestellten Techniken bieten sich hierfür für folgende wichtigen Aspekte an:

A) Lehrveranstaltung und Rahmenbedingungen

  • Start/Stop/Continue: Mit diesem Schema lassen sich beispielsweise zentrale Fragen an die Lernenden richten: „Was hat Ihnen an der Lehrveranstaltung gefallen und warum?“ / „Welche Rahmenbedingungen der Lehre sind für mich lernförderlich?“ (Continue); „Was hat Ihnen weniger gefallen?“ / „Was am Lehrsetting funktioniert für mich überhaupt nicht?“ (Stop); „Welche Neuerungen schlagen Sie vor?“ / „Was müsste sich an den Voraussetzungen ändern?“ (Start). In der Online-Lehre eignet es sich, die Fragen in einem geteilten Dokument oder einer Online-Pinnwand von den Studierenden schriftlich beantworten zu lassen. Erfolgt das anonym, erhöht sich die Beteiligung. Diese Ergebnisse lassen sich in der nächsten Stunde mit den Studierenden ana- lysieren und besprechen.

B) Lernvoraussetzungen der Studierenden

  • Kognitive Landkarten: Zu Beginn einer Veranstaltung sollen die Studierenden eine persönliche Mindmap zum Thema erstellen und sich diese gegebenenfalls gegenseitig vorstellen und diskutieren.  Es gibt kein richtig oder falsch einer solchen kognitiven Landkarte, aber so erhalten die Studierenden einen ersten individuellen Zugang zum Thema (→Didaktische Grundüberzeugungen).

C) Lehr-Lernprozess

  • Muddiest Point: Hierbei werden die Studierenden gezielt danach gefragt, was der schwammigste, noch nicht verstandene Punkt der Lehreinheit war. Die Studierenden benötigen hierzu etwas Zeit, um diese Frage individuell schriftlich zu beantworten. Daran anschließend kann mit den Studierenden reflektiert werden, welche Inhalte gegebenenfalls noch einmal gemeinsam bearbeitet werden sollten oder welche individuellen Lernschritte daraus erfolgen.

D) Lernziele, Lernergebnis, Lernerfolg

  • Formative Lernerfolgskontrolle: Gewohnte Tests, Klausuren und Übungspräsentationen (→Frage 6) können lernbegleitend eingesetzt und für den Lernprozess lernzielorientiert genutzt werden, wenn sie anonym durchgeführt und nicht benotet werden. Bei der Auswertung geht es um die Inhaltsanalyse der gegebenen Antworten, die als Hin- weise für die Qualität des Lernprozesses und der Unterstützung der Lehrkraft verstanden werden. Das Feedback zur Klausur orientiert sich dann an der Frage, wie der Lernprozess weiter unterstützt werden kann.
  • Studentische Klausuraufgaben: Eine weitere Möglichkeit ist es, zu einem Themengebiet die Studierenden selbst Klausuraufgaben entwickeln und beantworten zu lassen. Den Studierenden dient das als Prüfungsvorbereitung, der/die Lehrende erhält einen Einblick, in welcher Tiefe das Thema verstanden wurde.

In der Auswertung aller dieser beispielhaften formativen Assessments ist zentral, dass Studierende und Lehrende eine Einschätzung zum Fortschritt des Lernprozesses erhalten. Diese Einschätzung ist immer nur im Abgleich mit den formulierten Lernzielen möglich. Formatives Assessment stellt somit eine Form von Lehr-Lernaktivitäten dar, die dem Erreichen der Lernziele dienen soll. Besagen die Lernziele etwa, dass die Studierenden in der Lage sein sollen etwas mit eigenen Worten zu begründen, etwas anzuwenden, zu analysieren, zu synthetisieren oder zu beurteilen, dann müssen ihnen in formativen Assessments die Möglichkeiten hierzu gegeben werden. Dabei können unter anderem individuelle Schreibübungen über kollaborative Tools, Forumsbeiträge, strukturierte Gruppendiskussionen, Peer-Feedback, Umfragen und andere sogenannte „Zwischenevaluationen” hilfreich sein.

Eggensperger, P., Kleiber, I., Klöber, R., Lorenz, S.M. & Schindel, A. (2023) Virtuelle Hochschullehre. Ein Handbuch in 50 Fragen und Antworten, Heidelberg: heiBOOKS, S. 73-75